ZUR EINLEITUNG

stalker_arrival_zone
Schriftsteller, Wissenschaftler und der Stalker erreichen die Zone

„Alles was ich zuvor erzählt habe... ist Lüge. Ich schere mich nicht um Inspiration. Wie sollte ich das richtige Wort kennen für das, was ich wirklich will? Wie sollte ich wissen ob ich jetzt gerade das nicht will, was ich eigentlich will? Oder ob ich jetzt eben das nicht möchte, was ich eigentlich auch sonst nicht will? Das sind alles so flüchtige Dinge: in dem Augenblick, wo wir sie benennen, verschwindet ihre Bedeutung, sie schmilzt, löst sich auf wie eine Qualle in der Sonne. Mein Gewissen sagt mir, dass vegetarische Lebensweise die Welt bestimmen sollte. Und mein Unterbewusstsein verlangt nach einem saftigen Steak.
Aber was möchte ich wirklich?“

Szene aus Andrej Tarkovskys Filmmeisterwerk „Stalker“.
Der Schriftsteller stellt sein bisheriges vermeintliches Künstlertum in Frage und beginnt zu erkennen, dass sein bisheriges Leben Illusion war.


Stelle ich manchmal Menschen die Frage, ob sie den Namen Andrej Tarkowsky gehört, vielleicht einen seiner Filme schon gesehen haben, dann habe ich zu erkennen, dass in ganz seltenen Fällen ein „Ja“ zu hören ist. Ich erinnere mich an meine Studentenzeit in Wien. Ein paar Mal im Jahr wurde im Wiener Stadtkino, einem wunderbaren, mittlerweile verschwundenen Programmkino, als Mitternachtsfilm von Samstag auf Sonntag, Tarkowskys Stalker gezeigt. Mit knapp drei Stunden Dauer ein sakral-filmisches Hochamt. Und ich erinnere mich: die Kirche, der Saal des Stadtkinos mit seinen gut 300 Plätzen, war bis auf den letzten Platz gefüllt. Das war zu Beginn der 1980er-Jahre. In Frankfurts oder Wiens verbliebenen Programmkinos habe ich seit vielen Jahren keine Retrospektive von Tarkowskys Werk gesehen.
Warum?
Weil eine Szene, wie die in die Filmgeschichte eingegangene hypnotisch-bewusstseinsverändernde Draisinenfahrt zu Beginn des Films, mit fast vier Minuten Dauer, heutigen zuschauenden Menschen nicht mehr zuzumuten ist? Fast Food und kleine Snacks bestimmen auch unseren heutigen Filmkonsum.
Aber was geschieht so Ungeheuerliches in diesen Minuten: überhaupt nichts; es ist bloß eine Kamerastudie der Köpfe der drei Protagonisten, jeder einzelne im Close up gefilmt und eine so unglaublich gekonnt gestaltete akustische Ebene, In den Gesichtern der drei Abenteurer sind ein Ausdruck von Zweifel und Entschlossenheit, aber vor allem die Unsicherheit des Ausgangs ihrer Reise zu deuten. Denn, auf nichts anderes, als auf eine Expedition in die eigene Innenwelt, eingebettet in die grandiose Bildinszenierung einer gottverlassenen Zivilisation, wird der Zuschauer mitgenommen.
Am Ende des Films dann eine einzige, gleichermaßen resignative wie erbauliche Einsicht: es gibt keinen Ort auf dieser Welt an dem die geheimsten und innersten Wünsche erfüllt werden. Alles an Veränderung zum Besseren kann nur durch innere Entwicklung bewirkt werden. Auch die überfällige Versöhnung von Natur und Mensch kann nur durch einen spirituellen Prozess des Erkennens erfolgen.

Dieser Erkenntnis habe auch ich mein Handeln und mein Denken untergeordnet.